Rot-Grüne Gedanken, April 22

16.04.2022 - Domi Kuhn

Im Zimmer meiner Schwester stehen Pflanzen. Viele Pflanzen. Grössere und Kleinere. Nach oben und unten Wachsende. Bunte Pflanzen. Ihre Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit für ihre pflanzlichen Mitbewohner*innen hat mich immer überrascht. Dabei sollten diese Dinge für mich offensichtlich sein. Haben sie mich doch mein ganzes Leben begleitet, beschützt und geprägt.

Liebe, Fürsorge, Aufmerksamkeit. Bedingungslos. Das sind die ersten Worte die mir zu “Familie” einfallen. Ich wurde geliebt, als ich Normen überwand, wenn schlimme Dinge passierten, erlebte ich Fürsorge und mir wurde Aufmerksamkeit teil, während ich Werte hinterfragte. Mein Zuhause war ein sicherer Garten, der die schlimmsten Stürme abbremste während ich selbstbestimmt, aber stetig behütet wachsen konnte.

Diese fundamental wichtigen Elemente, die mich immer und überallhin begleiten, sind so konstant, dass sie selbstverständlich erscheinen. Doch sie sind es nicht. Manche wollen keinen bunten Garten. Manche wollen ihre Büsche, Bäume, und Sträucher in makelloser Gleichheit. Abweichungen von der Vorstellung dürfen nicht vorkommen. “Was würden denn die Nachbarn denken?” Wenn einer der heranwachsenden Bäumchen den Wünschen nicht gerecht wird, wird im besten Fall an ihm gezehrt und gedrückt in der Hoffnung ihn zurechtzubiegen und im schlimmsten Fall wird er ohne zu zögern gewaltvoll aus der Erde gerissen und in hohem Bogen auf die Strasse geworfen. Ohne Nachfrage, ob er jemals irgendwo aufblühen wird. Seine Chancen stehen schlecht.

Natürlich spreche ich hier nicht von Pflanzen. Hier geht es um junge, queere Menschen. Und deren Familien. Und das damit einhergehende Glücksspiel, in welche Mensch geboren wird. Gemäss True Colors United haben junge, queere Menschen in den USA eine 120 Prozent höhere Chance obdachlos zu werden, als cis-hetero junge Menschen. Dabei machen sie gemäss Studien zwischen 8 und 37 Prozent der jungen, obdachlosen Bevölkerung aus, was einer hohen bis gigantischen Übervertretung entspricht. Melissa Moore, Executive Director bei We Are Family nennt die Hauptursache in ihrem Ted Talk. Ablehnung. Ablehnung zuhause. Ablehnung der Eltern. Ablehnung aus “Liebe”. Ablehnung der Leute, die durch das Kinderkriegen die Verantwortung der bedingungslosen Liebe, Fürsorge und Aufmerksamkeit auf sich zu nehmen haben. Ablehnung weil nicht den Vorstellungen entsprechend. Ablehnung weil ein Ast in die Richtung wächst, statt Diese. Ablehnung weil.

Trans, lesbisch, schwul, bi, queer. Diese Optionen standen halt nicht zur Debatte, als das Kind beschloss, geboren zu werden. Als es sich die Familie aussuchte.

Erinnert euch an euren 18 Geburtstag. Schönes Fest. Freunde, Familie, Geschenke.
Für Sean, und unzählige Weitere, war das Geschenk eine mehrstündige, südliche Autofahrt um “warm obdachlos zu sein”. Es war an seinem 18. Geburtstag als er vor Kälte, Verzweiflung, Einsamkeit und Angst zitternd Melissa, mit “Schwuchtel” und Gewaltandrohungen im Rücken, anrief. Es war an ihrem 16. Geburtstag, als sie von einem Freier erwürgt wurde. Es war on their 19. Geburtstag, als they an einer Überdosis starb. Es war seinem 19. Geburtstag, als er erfror. Sean überlebte. Zu viele starben, sterben und werden sterben.

Wenn ihr könnt, bitte überlegt eine der genannten oder ähnliche Organisationen zu unterstützen. Dies ist wichtig. Doch es reicht nicht aus, so viele unschuldige Opfer dieses einseitig geführten Krieges wie möglich zu retten. Im Alltag, auf der Strasse, im Parlament,

im Gericht und im Netz braucht es Haltung gegen den Hass, der unsere Geschwister umbringt. Wir müssen es so schwierig und unangenehm machen diese tödliche Ideologie zu verbreiten, leben und seine Verbrechenen damit zu legitimieren. Strukturen, Finanzierungen, Identitäten und Meinungen müssen offengelegt, angeprangert und falls möglich angezeigt werden.

Kein Vergeben, kein Vergessen bis unsere Geschwister Dächer über den Köpfen und deren “Eltern” Zellenböden unter den Füssen haben.