12.10.2015
Darf ich mal Ihre Mails lesen? Ihre Fotos anschauen? Was war das letzte SMS, das Sie geschrieben haben?
So oder so ähnlich sammelte ich in der letzten Woche für das Referendum gegen das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). Es erübrigt sich zu sagen, dass ich von Niemandem die Mails oder SMS lesen und die Fotos anschauen durfte. Warum auch? Wer würde schon freiwillig seine privaten Bilder, Texte, Gedanken einer völlig fremden Person offenbaren - uneingeschränkt und ohne Grund? Auf das entsetzte "Nei sicher nöd" der befragten Personen antwortete ich, jetzt hätten sie noch die Chance "Nein" zu sagen, das könne sich mit dem NDG allerdings bald ändern.
Der Snowden-Effekt
Die Annahme des NDG im Parlament entsetzte und erstaunte wohl die Meisten. Erinnern wir uns an die Schweiz vor 2 Jahren: Am 6. Juni 2013 veröffentlichte Edward Snowden die Details zum massiven Überwachungsapparat der weltweiten Geheimdienste, insbesondere der NSA. Was Viele schon seit längerem befürchteten wurde nun publik: der gläserne Bürger ist bereits eine Realität. Der Glauben an eine geschützte Privatsphäre war in den Grundfesten erschüttert. Quasi zeitgleich war das Schweizer Parlament zur Sommersession versammelt. Klar, dass solche Nachrichten nicht unbemerkt am Parlament vorbeiziehen und so kam es zu interessanten Statements aus verschiedensten Parteien.
Im grossen Tenor schien man sich einig: die Privatsphäre der Bürger_innen muss geschützt und gewahrt werden, der "gläserne Bürger" dürfe nicht zur Realität werden. So sagte beispielsweise Thomas Matter (SVP) damals "Wir wollen keinen Schnüffelstaat!", Christian Lüscher (FDP, Initiant der Initiative "Schutz der Privatsphäre in der Verfassung verankern") äusserte sich in seinem Initiativtext folgendermassen: "Private Daten können rasch in falsche Hände gelangen und missbraucht werden". Eine Überwachung im Stil der NSA, legalisiert durch einen Vorstoss im Parlament, wäre in der Schweiz angesichts solcher Statements sicher nicht möglich.
Worum geht es?
Das neue Nachrichtendienstgesetz erlaubt einen Schnüffelstaat, wie wir ihn bis anhin nur aus den USA und Grossbritannien kennen. Im Prinzip stellt es jede Person unter Generalverdacht, da Jede_r ohne vorherige Rücksprache unter Berufung auf "Dringlichkeit" überwacht werden kann. Die Grundsätze einer parlamentarischen Demokratie mit sogenannten 'checks and balances' werden vollkommen untergraben, da schlicht jegliche Kontrolle dieses Organs fehlt. Der enorme Ausbau an Massnahmen durch das NDG umfasst die Einschleusung von 'Vertrauenspersonen' (ähnlich wie 1989 im Fichen-Skandal), das Verwanzen von Räumen und das Einschleusen von Staatstrojanern auf Computer. Besonders Letzteres sollte die Alarmglocken läuten lassen, hatte sich Mario Fehr erst diesen Sommer eigenhändig und widerrechtlich einen Staatstrojaner für den Kanton Zürich gekauft, dessen Quellcode kurz darauf veröffentlicht und der Staatstrojaner somit unbrauchbar wurde.
Doch die unkontrollierte und grossflächige Überwachung ist nicht alles. Die Schweiz schwingt im europäischen Vergleich in einem Punkt ganz oben auf: Vorratsdatenspeicherung. Das NDG erlaubt es, die gesammelten Daten von Mails, Telefonaten, SMS, Bildern, WhatsApp und jeglichen sonstigen Quellen bis zu einem Jahr zu speichern. Zum Vergleich: selbst in der Europäischen Union ist dies auf 6 Monate begrenzt. So ist es kaum erstaunlich, dass sich EU-Menschenrechtskomissar Nils Muižnieks in einem Brief an Bundesrat Ueli Maurer mehr als kritisch zum NDG geäussert hat. Er kritisiert namentlich die geplanten Beschaffungsmassnahmen des NDG als "ernste Bedrohung für das Recht auf Respekt vor dem Privatleben". Weiter führt er aus, dass die "gewaltigen Datensammlung" zu einem sozialen Klima führe, in dem "jeder Mensch als potenziell verdächtig gilt".
Plötzlicher Richtungswechsel
Snowdens Enthüllungen waren damals und sind noch heute für die Meisten schockierend, wenn auch für Einige schlicht ein Beweis lang gehegter Vermutungen. Ähnlich wie nach Fukushima, als es schien, die Atomenergie würde von Niemandem mehr unterstützt, schien es hier kaum denkbar, dass Irgendjemand mehr Überwachung gutheissen würde.
[caption id="attachment_786" align="aligncenter" width="850"] Politiker_innen, die auf Smartvote angaben gegen oder eher gegen das NDG zu sein. Bild: piratenpartei[/caption]
Doch es kam alles ganz anders. Als 2 Jahre später, am 25. September diesen Jahres, über das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) abgestimmt wurde, war Snowden trotz andauernder Medienpräsenz wohl längst vergessen, genau wie die Sorgen der Parlamentarier_innen zum Schutz der Privatsphäre. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 145 zu 41 und 8 Enthaltungen wurde das NDG angenommen. Frei nach dem Motto Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern schwangen beispielsweise Gabi Huber (FDP, "Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger muss von Vertrauen, nicht von Misstrauen geprägt sein.") oder Alfred Heer (SVP, "Wir wollen keinen gläsernen Bürger, wir sind gegen die totale Überwachung") um. Selbst linke Parlamentarier wie Thomas Hardegger oder Alex Tschäppät, die in ihrem Smartvote-Profil angaben zum NDG 'Eher dagegen' oder 'dagegen' zu sein, stimmten nun für das NDG.
Referendum JETZT!
Die Massnahmen des NDG gefährden unzählige verfassungsgarantierte Rechte. Sie stellen jede_n Bürger_in des Schweizer Staates unter Generalverdacht und überwachen diese_n darum ohne jegliche Rücksprache oder Kontrolle. Die Privatsphäre von uns Allen wurde in der Fichen-Affäre über Bord geworfen und kaum ist diese vergessen, will man sie unausweichlich ganz vernichten. Wir glauben, dass das nicht im Sinne der Schweizer Bevölkerung ist. Deshalb sagen wir Nein zum Schnüffelstaat und Nein zum gläsernen Bürger, deshalb ergreifen wir das Referendum gegen das NDG!
In den kommenden Wochen bis zum 14. Januar werden wir in der ganzen Schweiz unzählige Stunden auf die Strasse gehen, um Unterschriften für das Referendum zu sammeln. Dazu brauchen wir auch deine Hilfe! Unter diesem Google-doc der JUSO Stadt Zürich kannst du dich eintragen, um mit uns sammeln zu kommen.
Das Referendum kannst du hier ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und kostenlos ohne Briefmarke an uns schicken.
So oder so ähnlich sammelte ich in der letzten Woche für das Referendum gegen das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). Es erübrigt sich zu sagen, dass ich von Niemandem die Mails oder SMS lesen und die Fotos anschauen durfte. Warum auch? Wer würde schon freiwillig seine privaten Bilder, Texte, Gedanken einer völlig fremden Person offenbaren - uneingeschränkt und ohne Grund? Auf das entsetzte "Nei sicher nöd" der befragten Personen antwortete ich, jetzt hätten sie noch die Chance "Nein" zu sagen, das könne sich mit dem NDG allerdings bald ändern.
Der Snowden-Effekt
Die Annahme des NDG im Parlament entsetzte und erstaunte wohl die Meisten. Erinnern wir uns an die Schweiz vor 2 Jahren: Am 6. Juni 2013 veröffentlichte Edward Snowden die Details zum massiven Überwachungsapparat der weltweiten Geheimdienste, insbesondere der NSA. Was Viele schon seit längerem befürchteten wurde nun publik: der gläserne Bürger ist bereits eine Realität. Der Glauben an eine geschützte Privatsphäre war in den Grundfesten erschüttert. Quasi zeitgleich war das Schweizer Parlament zur Sommersession versammelt. Klar, dass solche Nachrichten nicht unbemerkt am Parlament vorbeiziehen und so kam es zu interessanten Statements aus verschiedensten Parteien.
Im grossen Tenor schien man sich einig: die Privatsphäre der Bürger_innen muss geschützt und gewahrt werden, der "gläserne Bürger" dürfe nicht zur Realität werden. So sagte beispielsweise Thomas Matter (SVP) damals "Wir wollen keinen Schnüffelstaat!", Christian Lüscher (FDP, Initiant der Initiative "Schutz der Privatsphäre in der Verfassung verankern") äusserte sich in seinem Initiativtext folgendermassen: "Private Daten können rasch in falsche Hände gelangen und missbraucht werden". Eine Überwachung im Stil der NSA, legalisiert durch einen Vorstoss im Parlament, wäre in der Schweiz angesichts solcher Statements sicher nicht möglich.
Worum geht es?
Das neue Nachrichtendienstgesetz erlaubt einen Schnüffelstaat, wie wir ihn bis anhin nur aus den USA und Grossbritannien kennen. Im Prinzip stellt es jede Person unter Generalverdacht, da Jede_r ohne vorherige Rücksprache unter Berufung auf "Dringlichkeit" überwacht werden kann. Die Grundsätze einer parlamentarischen Demokratie mit sogenannten 'checks and balances' werden vollkommen untergraben, da schlicht jegliche Kontrolle dieses Organs fehlt. Der enorme Ausbau an Massnahmen durch das NDG umfasst die Einschleusung von 'Vertrauenspersonen' (ähnlich wie 1989 im Fichen-Skandal), das Verwanzen von Räumen und das Einschleusen von Staatstrojanern auf Computer. Besonders Letzteres sollte die Alarmglocken läuten lassen, hatte sich Mario Fehr erst diesen Sommer eigenhändig und widerrechtlich einen Staatstrojaner für den Kanton Zürich gekauft, dessen Quellcode kurz darauf veröffentlicht und der Staatstrojaner somit unbrauchbar wurde.
Doch die unkontrollierte und grossflächige Überwachung ist nicht alles. Die Schweiz schwingt im europäischen Vergleich in einem Punkt ganz oben auf: Vorratsdatenspeicherung. Das NDG erlaubt es, die gesammelten Daten von Mails, Telefonaten, SMS, Bildern, WhatsApp und jeglichen sonstigen Quellen bis zu einem Jahr zu speichern. Zum Vergleich: selbst in der Europäischen Union ist dies auf 6 Monate begrenzt. So ist es kaum erstaunlich, dass sich EU-Menschenrechtskomissar Nils Muižnieks in einem Brief an Bundesrat Ueli Maurer mehr als kritisch zum NDG geäussert hat. Er kritisiert namentlich die geplanten Beschaffungsmassnahmen des NDG als "ernste Bedrohung für das Recht auf Respekt vor dem Privatleben". Weiter führt er aus, dass die "gewaltigen Datensammlung" zu einem sozialen Klima führe, in dem "jeder Mensch als potenziell verdächtig gilt".
Plötzlicher Richtungswechsel
Snowdens Enthüllungen waren damals und sind noch heute für die Meisten schockierend, wenn auch für Einige schlicht ein Beweis lang gehegter Vermutungen. Ähnlich wie nach Fukushima, als es schien, die Atomenergie würde von Niemandem mehr unterstützt, schien es hier kaum denkbar, dass Irgendjemand mehr Überwachung gutheissen würde.
[caption id="attachment_786" align="aligncenter" width="850"] Politiker_innen, die auf Smartvote angaben gegen oder eher gegen das NDG zu sein. Bild: piratenpartei[/caption]
Doch es kam alles ganz anders. Als 2 Jahre später, am 25. September diesen Jahres, über das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG) abgestimmt wurde, war Snowden trotz andauernder Medienpräsenz wohl längst vergessen, genau wie die Sorgen der Parlamentarier_innen zum Schutz der Privatsphäre. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 145 zu 41 und 8 Enthaltungen wurde das NDG angenommen. Frei nach dem Motto Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern schwangen beispielsweise Gabi Huber (FDP, "Das Verhältnis zwischen Staat und Bürger muss von Vertrauen, nicht von Misstrauen geprägt sein.") oder Alfred Heer (SVP, "Wir wollen keinen gläsernen Bürger, wir sind gegen die totale Überwachung") um. Selbst linke Parlamentarier wie Thomas Hardegger oder Alex Tschäppät, die in ihrem Smartvote-Profil angaben zum NDG 'Eher dagegen' oder 'dagegen' zu sein, stimmten nun für das NDG.
Referendum JETZT!
Die Massnahmen des NDG gefährden unzählige verfassungsgarantierte Rechte. Sie stellen jede_n Bürger_in des Schweizer Staates unter Generalverdacht und überwachen diese_n darum ohne jegliche Rücksprache oder Kontrolle. Die Privatsphäre von uns Allen wurde in der Fichen-Affäre über Bord geworfen und kaum ist diese vergessen, will man sie unausweichlich ganz vernichten. Wir glauben, dass das nicht im Sinne der Schweizer Bevölkerung ist. Deshalb sagen wir Nein zum Schnüffelstaat und Nein zum gläsernen Bürger, deshalb ergreifen wir das Referendum gegen das NDG!
In den kommenden Wochen bis zum 14. Januar werden wir in der ganzen Schweiz unzählige Stunden auf die Strasse gehen, um Unterschriften für das Referendum zu sammeln. Dazu brauchen wir auch deine Hilfe! Unter diesem Google-doc der JUSO Stadt Zürich kannst du dich eintragen, um mit uns sammeln zu kommen.
Das Referendum kannst du hier ausfüllen, ausdrucken, unterschreiben und kostenlos ohne Briefmarke an uns schicken.