Offener Brief an den Stadtrat von Zürich

19.02.2020

Sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin Corine Mauch
Sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte
Seit November 2019 ist das Bundesasylzentrum (BAZ) im Duttweilerareal Zürich in Betrieb. Trotz der kurzen Zeitspanne häufen sich seither bereits Beschwerden, welche die Lebensumstände der Bewohnenden kritisieren.[1] Auch Sie als Stadträtinnen und Stadträte haben die Zustände bereits öffentlich bemängelt.[2] Die JUSO Stadt Zürich ist der Meinung, dass die Bewohnenden aller Bundesasylzentren Anspruch auf ein Recht haben sollten, welches auch die restliche Bevölkerung hat: Nämlich die ein würdevolles Leben zu führen. Wir wenden uns an Sie mit der Forderung, dass Sie die bestehende Praxis im Duttweiler zu ändern versuchen. Das BAZ muss in Zukunft unter Hoheit der Stadt Zürich verwaltet werden, denn der Kanton Zürich und der Bund haben mehrfach gezeigt, dass Sie die Schuld für die momentanen Lebensumstände der Geflüchteten tragen. Nur durch die kommunale Verwaltung des Zentrums kann garantiert werden, dass Sie als Stadträtinnen und Stadträte Ihre Verantwortung wahrnehmen und sich darum bemühen können, den Bewohnenden menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Gelingt es Ihnen, dem Kanton und dem Bund die Kompetenzen über das BAZ zu entziehen, können Sie unter Miteinbezug der Bewohnenden auch in Erwägung ziehen, das Zentrum ganz zu schliessen und somit Platz und Wohnraum zu schaffen, in welchem Geflüchtete unter städtischen Bedingungen in Würde leben können. Wir sind uns bewusst, dass diese Forderung aufgrund hoheitlicher Kompetenzen von Stadt, Kanton und Bund nur schwer umsetzbar ist. Aus diesem Grund stellen wir Ihnen im Folgenden einen Forderungskatalog auf, um die Lebensbedingungen innerhalb des BAZ kurzfristig verbessern zu können. Wir hoffen, dass Sie diese Forderungen bei den zuständigen Behörden durchsetzen können.
Als JUSO Stadt Zürich fordern wir mehr Rechte für unbegleitete Minderjährige. Unbegleitete Minderjährige haben in einem solch grossen Zentrum nichts verloren. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sie in einem Betrieb wie dem BAZ weder adäquat betreut werden können noch ihr Kindswohl sichergestellt werden kann. Auch der Gemeinderat der Stadt Zürich hat mehrmals gefordert, dass keine unbegleiteten Minderjährigen im BAZ untergebracht werden. Die wenigen Sozialpädagog*innen, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) nach starker Kritik einer ZHAW-Evaluation vorgesehen hat, reichen erfahrungsgemäss bei weitem nicht aus, um das Kindswohl zu sichern[3]. Das SEM ist im Bereich Kindesschutz unbegleiteter Minderjähriger auf ganzer Linie gescheitert. Selbst der ZHAW-Bericht kommt zum Schluss, dass unbegleitete Minderjährige besser in spezialisierten kantonalen Strukturen untergebracht werden sollten. Falls dies nicht möglich sein sollte, rufen wir den Stadtrat dringendst dazu auf, durch die Asylorganisation Zürich (AOZ) sicherzustellen, dass mehr Sozialpädagog*innen und Betreuungspersonen für unbegleitete Minderjährige im BAZ angestellt werden.
Wir fordern das Recht auf Privatsphäre. Laut Berichten werden bis zu dreimal täglich und sogar nachts die Zimmer der Bewohner*innen im BAZ Duttweiler kontrolliert und teilweise gar gestürmt. Die Bewohner*innen werden bei jeder Rückkehr ins Zentrum durchsucht. Darüber hinaus befinden sich im gesamten Zentrum Installationen zur Überwachung, etwa Kameras, welche die Bewohnenden kontrollieren. Diese Zeichen von Machtmissbrauch sind inakzeptabel. Auch Politiker*innen haben bereits auf die repressiven Zustände hingewiesen.[4] Das Recht auf Privatsphäre ist international als Menschenrecht anerkannt und darf folglich unter keinen Umständen weiterhin missachtet werden. Wir verlangen, dass den Bewohnenden ein Ort zur Verfügung gestellt wird, der als „Safe Space“ dienen soll. Dazu zählen nicht die sogenannten „Besinnungsräume“, wo einzelne oft stundenlang festgehalten werden.
Wir fordern mehr Möglichkeiten für Selbstverwaltung der Bewohnenden. Sie haben kaum Mitspracherecht in ihrem täglichen Leben und sind den Regeln des Zentrums und dessen Personal ausgeliefert. Das betrifft beispielsweise die rigiden Öffnungszeiten des Zentrums unter der Woche (09:00-20:00 Uhr), aber auch das den Bewohner*innen jegliche Möglichkeit fehlt, ihren Alltag selbst zu gestalten. So ist es den Bewohnenden unter anderem untersagt zu kochen. Der einzige Eingang ins Bundesasylzentrum mutet gefängnisähnlich an: Er ist von mehreren Barrieren umgeben und führt an einem Schalter von Securitas vorbei. Auch Stadtrat Raphael Golta kritisiert die “massiven Eingriffe in die persönliche Freiheit" und die "menschenunwürdige Unterbringung”[5]. Die genannten Beispiele von Einschränkung sind der Autonomie eines Menschen nicht würdig - wir fordern die Abschaffung der Öffnungszeiten und der restriktiven Infrastruktur.
Wir fordern psychische Unterstützung für die Bewohnenden. Die Menschen im BAZ sind einer hohen mentalen Belastung ausgesetzt. Der rasche, direkte Zugang zu psychischer Betreuung ist notwendig, da jedem Menschen ein Recht auf mentale Unterstützung gewährleistet werden muss. Psychische Unterstützung ist zwar vorgesehen, aber reicht bei weitem nicht aus. Genügend Bezugspersonen, sowohl als soziale Kontakte, sowie auch als professionelle Beratung wären fundamental für die Bewohner*innen des Bundesasylzentrums. Vor allem für Frauen* wäre Unterstützung absolut essentiell, da sie auf der Flucht häufig Gewalt und sexuellem Missbrauch ausgesetzt sind.
Die JUSO fordert stärkere sprachliche Förderung der Bewohnenden im BAZ. Den erwachsenen Personen in einem Bundesasylzentrum ist es untersagt, zu arbeiten oder schulische Bildung in Anspruch zu nehmen. Dadurch wird die Integration der Betroffenen erheblich erschwert. Bildungsveranstaltungen und das Angebot von Sprachkursen sind wichtig, damit sich die Bewohnenden erstens zurechtfinden und zweitens die Mittel haben, die eigenen Bedürfnisse mitteilen zu können – völlig unabhängig davon, ob sie später ein Bleiberecht erhalten.
Wir fordern eine unabhängige Anlaufstelle für Mitarbeitende und Bewohnende. Aufgrund der zahlreichen Vorkommnisse und der sturen Haltung des Staatssekretariats für Migration ist dringend eine unabhängige Anlaufstelle für Mitarbeitende und Bewohnende einzurichten, welche die Betreuung und den Umgang mit Bewohnenden und Mitarbeitenden zu Handen des Zürcher Stadtrats evaluiert. Auch das Verhältnis zwischen den Geflüchteten und ihrer Rechtsvertretung soll im Prüfungsbereich der Anlaufstelle sein. Denn das Asylgesetz sieht zwar eine Rechtsvertretung im Asylverfahren vor – ein Rechtsschutz kann aber nur sichergestellt werden, wenn das Vertrauen zwischen Geflüchteten und der Rechtsvertretung besteht. Nur so kann sichergestellt werden, dass sämtliche Vorkommnisse im Bundesasylzentrum evaluiert werden können. Durch die Evaluation können Sie als Stadtrat auch überprüfen, ob sie unter diesen Umständen ein BAZ auf städtischem Boden überhaupt noch für vertretbar halten.
Wir hoffen, dass sie als progressives Gremium alle Möglichkeiten bei Bund und Kanton prüfen werden, um unseren Forderungen nachzukommen, damit die Stadt Zürich ihren Boden nicht für ein weiteres restriktives, menschenunwürdiges Zentrum bietet. Die Erfahrungen zeigen, dass nur so den geflüchteten Menschen ein Leben in Würde garantiert wird.
Mit freundlichen Grüssen
Für die JUSO Stadt Zürich
Nathan Donno Anna Luna Frauchiger
Co-Präsident Co-Präsidentin
[1] „Es brodelt im neuen Bundesasylzentrum aus dem Duttweilerareal“, Tobler Lukas, das Lamm [13.112019]
[2] „Stadtrat kritisiert Zustand im Bundesasylzentrum“, Tagesanzeiger [14.11.2019]
[3] https://projektdaten.zhaw.ch/Research/Projekt-00002135/Evaluation%20UMA-Pilotprojekt_Schlussbericht%20ZHAW.pdf
[4] “Geflüchtete Menschen sind keine Kriminelle”, Jennifer Furer, 20 Minuten [14.11.2019]
[5] „Nicht menschenwürdig – Zürcher Stadtrat Raphael Golta kritisiert die Situation im Bundesasylzentrum in Zürich-West scharf“, Baumgartner Fabian, Neue Zürcher Zeitung [13.11.2019]